Unternehmen Hummer

von Thomas Lukasczyk

Vor einiger Zeit sah ich im öffentlich rechtlichen Fernsehen einen interessanten Beitrag über die Insel Helgoland. Dabei ging es, wie bei wissenschaftlich ansprechenden Sendungen üblich, um Geologie, Flora und Fauna. Diese einzigartige Felseninsel in der Nordsee beherbergt demnach eine beachtliche Hummerpopulation, die zwar im Zuge der Verschmutzung der Meere etwas gelitten hat, aber offensichtlich dabei ist sich zu erholen. Das liegt vornehmlich an der kürzlich verbesserten Wasserqualität und der aktiven Zucht und Wiederaussetzung der vormals seltenen Tiere. Diese Maßnahmen erweisen sich als so erfolgreich, dass die leckeren Tierchen sogar wieder in den Fischrestaurants auf Helgoland angeboten werden. Dabei gelten gewisse Fangquoten und eine Garantie auf Verfügbarkeit gibt es nicht. Des weiteren behaupten die Kenner, der Helgoländer Hummer wäre der beste der Welt und selbst die berühmten Krustentiere der amerikanischen Nordostküste könnten hier nicht mithalten. Moment Mal, ich war in meiner amerikanischen Zeit selbst mehrfach in Boston um habe den "Maine-Lobster" in allen Variationen probiert. Was soll ich sagen, die Messlatte liegt hier verdammt hoch und nun soll es ernste Konkurrenz vor unsere eigenen Haustür geben? Nun Ja, nicht ganz. Helgoland schwimmt 60 km vor Wilhelmshaven und das liegt von Südhessen aus gesehen nicht gerade um die Ecke. Mit dem Auto und dem Schiff da hoch zu karren wäre eine 12 Stunden dauernde Tortur, auf die ich keinen Bock habe. Aber das wäre doch der Klassiker mit dem Flugzeug. Die Entfernung von Heppenheim beläuft sich auf 280 nautische Meilen also rund 520 Kilometer Luftlinie. Meine RV-4 könnte das in 2 Stunden schaffen. Mit Volldampf auch noch zwei Zähne schneller, wenn es sein muss. Dann noch einen Kurzurlaub mit einer Übernachtung anhängen und die coole Aktion ist perfekt. Leider muss dabei, wie so oft, das Wetter mitspielen. Ganz alleine wollte ich das auch nicht vom Zaun brechen und natürlich gewann ich meinen Kumpel Patrick, der eine schicke neue RV-7 besitzt, für dieses Unterfangen. Beinahe den ganzen Sommer lang klopften wir die dicken Sprüche auf dem Flugplatz nach dem Motto: "Mensch wir müssten echt mal nach Helgoland zum Hummerfressen fliegen, dann gucken wir noch die Inseln an, wandern zur langen Anna und hüpfen ins Wasser". So verstrichen Wochenenden, Montage und Monate. Das Jahr 2015 begann sich fliegerisch schon zu neigen, die Saisonabschlussfeste der Fliegervereine hatten bereits Termine und die Tage endeten immer früher. In den abendlichen Nachrichtensendungen kündigte der Meteorologe bereits Nachtfrost an und die herbstliche Morgenkühle erinnerte eingehend an die neue Jahreszeit. "Bald ist Schluss Mann, wir müssen echt mal in die Strümpfe kommen" machte ich meinen Bedenken regelmäßig Luft. Patrick nickte bisweilen, stimmte mir zu, trotzdem verstrich schon der September und nichts war passiert. Da kam ganz unverhofft das Nordseehoch Netti um die Ecke....ach wie nett.

27.09.2015

Die ausgeprägte Hochdruckwetterlage, die auch noch mehrere Tage stabil bleiben soll, sorgte natürlich sofort für Aufregung. Gleich nach der Tagesschau checkte ich im Netz das Flugwetter und die Details, die Sichtflugmöglichkeiten, sowie die Aussicht für die kommenden Tage. Leider war es Sonntagabend und unsere Hoffnung für das nächste Wochenende bewahrheitete sich offensichtlich schön früher. Aus lauter Sorge unsere Gelegenheit zu verpassen begannen Patrick und ich damit, die Flieger stets vorbereitet, aufgetankt und flugklar zu einzuhallen. Jetzt erhob Fortuna die Startpistole und der Satz "Das ist vielleicht die letzte Chance dieses Jahr" ging mir während des folgenden Telefonanrufes durch den Kopf. Unglücklicherweise mussten wir beide am Montag arbeiten. "Du wir klären das, gucken aus dem Fenster und entscheiden das morgen" verabschiedeten wir uns..

28.09.2015

Der Himmel war so blau wie er nur sein kann. Voller Ungeduld schaute ich drei Mal pro Minute aus dem Fenster und schwärmte von der Fernsicht. Mein Chef registrierte wohl die ablenkende Wirkung, die ich auf meine Kollegen ausübte und stimmte zwei spontan beantragten freien Tagen mit Nachdruck zu. In der selben Minute verlies eine SMS mein Wischphone in Richtung Patrick. Ich möchte behaupten ebenfalls in der selben Minute erhielt ich eine positive Antwort. Rein arbeitstechnisch war die Sache also geritzt. Jetzt muss nur Ulli noch zustimmen, die sich nun alleine um das Finchen kümmern muss, während der Papa wegfliegt und seinen kulinarischen Gelüsten frönt. Aber auch das sah gut aus, da ich Ulli für Ihr Pferdewochenende erst kürzlich den Rücken frei gehalten habe und über ein volles Babysitter Konto verfüge. "Wenn Du es schaffst noch in der Frühe Josefine im Kindergarten abzugeben, bekomme ich das schon hin" sagte sie.
Patrick und ich telefonierten noch am Abend, besprachen die genaue Route, bereiteten den Flug vor und verabredeten uns um 8 Uhr am Flugplatz.

29.09.2015

Pünktlich verließ ich den Kindergarten, und fuhr in Richtung Hangar. Der stahlblaue Himmel und die Morgensonne erzeugten Bestlaune, die auch der kleine Stau aus dem Odenwald heraus nicht trüben konnte. Mit etwas Verspätung traf ich wenig später den bis über beide Ohren grinsenden Patrick. "Entweder man macht es, oder man lässt es bleiben" kamen wir mit dem Motto des Tages überein. "Vorsicht, die Helgoländer haben Mittagspause von 12 Uhr bis 14 Uhr 20" warnte ich noch. Die Planung musste also genau aufgehen, sonst erreichen wir das Landefeld Helgoland-Düne in der Mittagspause und dann müssen wir aufs Festland zurückfliegen, weil die uns nicht reinlassen. Bis nun wirklich alle Vorbereitungen und Versäumungen abgeschlossen waren, bis die Autos geparkt, die Karten sortiert, die Flieger gecheckt, die Digi-Gadgets gebootet, das Wetter frisch eingeholt und die Nervositäts-Zigaretten geraucht waren, war es bereits halb zehn. "Packen wir das noch vor Mittag, sollen wir nicht besser warten?". In der Tat schmolz der Sicherheitszeitraum mit jeder Minute dahin. "Also entweder rein in die Kisten und ab, oder ins Kaff rüber frühstücken gehen und am Nachmittag los" rief ich mit dem Finger auf meine Armbanduhr tippend. "Also dann....los jetzt" vertrat Patrick nochmals das Tagesmotto. Ich legte demonstrativ meine knallgelbe Schwimmweste an, zog meinen Fuß vom grünen, südhessischen Gras und genoss den Gedanken beim Aussteigen als erstes weißen Nordseedünensand zu betreten. Fliegerei ich schon etwas geiles...
Wir stiegen ein, schnallten uns an, starteten die Motoren und brausten die Grasbahn hinunter. So bis an die Kante voll getankt und nicht wenig beladen bleib es bei 2000 Fuß pro Minute Steigleistung. Zwei Startmeldungen am Flugplatz gingen ins Leere, denn unter der Woche war sowieso niemand anwesend. Ich nahm sofort nach dem Verlassen der Platzrunde Kontakt mit "FIS" auf und eröffnete den eigentlich nicht notwendigen Flugplan. Die Damen und Herren von der Flugsicherung werden unseren Trip begleiten, als Sicherheitsplus sozusagen. Dann erscheinen wir vernünftig mit Transpondercode auf dem Radar, erhalten Verkehrsinformationen und Warnungen und irgendwie fühlt sich das auch besser an wenn man nicht ganz alleine und unkontrolliert in 2 Kilometern Höhe über den ganzen Himmel brettert.

Start bis Küste     Video (21MB)

Der erste Streckenabschnitt sollte uns um Frankfurt herum leiten und führte über Aschaffenburg zunächst nach Osten, gegen den Wind. Der drückte mit fast 15 Knoten aus 90° ordentlich auf die Schnauze und bei meinem Reise-Powersetting mit 30 Litern pro Stunde reichte das nur für 135 Knoten GPS-Groundspeed. Das war aber angesichts des straffen Zeitplanes einen Tick zu wenig und ich spielte mit dem Gedanken den Einsatz zu erhöhen und noch eine Kohle aufzulegen. Angesichts der tatsächlichen Startzeit von 9 Uhr 46, hatten wir nur eine knappe Viertelstunde Reserve bis zur vorübergehenden Flugplatzschließung nach der voraussichtlichen Landung auf der Insel. Diese Reserve wird aber beim Höhengewinn und im Platzrundenverkehr mächtig kleiner. "Reis Dich zusammen ermahnte ich mich, Du hast ordentlich geplant, der Nord Kurs kommt in 10 Minuten und dann ist alles flauschig". Und genau so war es auch. Der zweite Streckenabschnitt mit Ziel Paderborn erhielt eine kleine Westkomponente und schon viel entspannter notierte ich "155 Knoten Groundspeed". Das war ausreichend und sollte sogar unseren Rückstand aufholen. Patrick folgte in einem halben Kilometer Entfernung und besetzte meine 6 Uhr Position. Knackig geleant in FL65 pendelte sich der Kraftstoffverbrauch bei 29,5 Litern pro Stunde ein. Damit brauche ich rechnerisch genau die Hälfte meiner Tankkapazität für den Hinflug. Beinahe "ohne besondere Vorkommnisse" spulten wir die gesamte Republik ab und brummten beständig und nicht gerade langsam in Richtung Norden. Die errechnete Ankunftszeit, die mein IPhone mit der entsprechenden App stetig nach unten korrigierte, passte besser und besser in unseren Zeitplan. Die rote RV-7 folge dichtauf als pünktlich die Küste unter dem Flügel durchlief. "Mensch ist das schon Helgoland?" fragte ich laut, ohne dass es jemand hören würde. Das gibt es doch nicht, die Insel ist von Wilhelmshaven aus zu sehen. Tatsächlich zeichnete sich am Horizont unser Reiseziel deutlich ab und entschärfte das beklemmende Gefühl nun über endloses Wasser zu fliegen. Umgehend leitete ich den Sinkflug ein, ohne am Leistungshebel Korrekturen vorzunehmen. Lediglich das Gemisch reicherte ich wieder voll an. Mit 185 Knoten zischte meine blaue RV-4 die ganze Wasserstrecke mit abnehmender Höhe dahin und erreichte die Platzrunde von Helgoland-Düne in exakt 600 Fuß MSL. Jetzt keine Zeit verlieren, anmelden und "Pattern brettern". Im Queranflug tauchte die "lange Anna", eine recht markante Felssäule am Westrand der Felseninsel, direkt vor der Nase auf. Der Endanflug führte über glitzerndes Wasser und ganz knapp über den Nordstrand. "Tango-Lima der Wind 90° 5 Knoten", meldete der Turm, wie bestellt. Die Landebahn 15, die zwar die Längste auf Helgoland-Düne ist, sah so verdammt kurz aus, dass ich spontan meine Landestrategie änderte und beschloss unter den Gleitpfad zu gehen und die Mühle mit Schleppgas aufzusetzen. Das mache ich eigentlich ungern, da so im Falle eines Motoraussetzers eine Außenlandung unvermeidlich ist. Gerade angesichts des geringen Gegenwindes hielt ich das aber nun für sinnvoll. Ich traf mit Minimalfahrt die Schwelle und stand ohne Bremsorgie genau an der Kreuzung mit der 21. Ich hatte also weniger als die Hälfte der verfügbaren 480 m benötigt. Der Preis dafür waren drei, vier Hüpfer, was mich etwas ärgerte. Das nächste mal lande ich ganz normal und vertraue den Fakten. Die Bahn ist für eine RV lang genug, Punkt.
Da Patrick wohl dichtauf folgte, beeilte ich mich, um von der Landebahn runter zu kommen. Ich hatte kaum abgestellt, da vernahm ich das sonore Brummen der Papa-Victor und die quietschenden Geräusche verrieten, eine ähnliche Landestrategie. Er stellte ab und breit grinsend begrüßten wir uns auf der Insel und stellten überglücklich fest, nach exakt 2 Stunden Flugzeit, knapp 15 Minuten vor der Mittagspause, pünktlich angekommen zu sein. "Hast Du mal das QNH gesehen?" fragte ich. Ohne auf eine Antwort zu warten vermeldete ich "1040". Das nenne ich Hochdruck. Welch ein Trip, der sogleich mit zwei Erdinger Hefeweißbier an der Strandbar begossen wurde. Es mag zwar heldenhaftere und tollere Piloten geben, die wegen so einer Insel-Landung im Sonnenschein keine Regung verspüren, aber mit Sicherheit gab es in diesem Augenblick keine glücklicheren als uns. "Bitte noch zwei helle Hefe".

Die Landung in Helgoland     Video (39MB)

 
 
 
Die Stimmung blieb auf dem Höhepunkt und wir bestellten frischen Fisch. Meine Scholle Finkenwerder-Art war die Reise schon alleine wert. Sollte da tatsächlich noch eine Steigerung mit dem Hummedinner drin sein? Über den Nordstrand schleiften wir die Koffer in Richtung Fährhafen. Die totale Nordseeidylle überkam uns und bei eitel Sonnenschein, der sauberen klaren Salz Luft, dem Gekreische der Möwen und dem sanften rauschen des Meeres verfielen wir einer gewissen Euphorie. Das Atmosphäre unterscheidet sich auch etwas von den mir gut bekannten Nordseeinseln in Küstennähe. Helgoland hat noch einen Hauch mehr Exotik und Südseecharme, selbst bei den typisch deutsch gepflasterten und beleuchteten Gehwegen durch die Dünen.
 
 
 
Das Meer war voller Seehunde und Kegelrobben, die in dem glasklaren Wasser nur wenige Meter vom Strand schwammen, als dunkle Schatten auszumachen waren und gelegentlich den neugierigen Kopf aus dem Wasser streckten. Die kleine Anzahl von Gästen, die mit uns den Stand teilte, sammelte sich um eine Seehundkolonie. Hier war es möglich die Tiere aus der Nähe zu beobachten. Zu nahe wollte ich allerdings nicht hingehen und stellte begeistert fest das Teleobjektiv dabei zu haben.
 

 

 
Von diesen Eindrücken überwältigt, mit den zwei Weizen im Kopf und der grellen Sonne im Gesicht schleiften wir unser Gepäck auf die regelmäßig verkehrende Fähre. Klares Wasser, weiße Gischt, Seeluft und Wellen begleiteten die ersehnte Ankunft auf der Hauptinsel. Das kleine Schiff war proppenvoll wobei wir mit einiger Sicherheit die einzigen Gäste waren, die nicht "zurück", sondern "nur hin" fuhren. Das zeigte schon das Gepäck, welches nur wir mitschleiften. Die übrigen Fahrgäste waren wohl auf dem Rückweg vom Badestrand, dem Minigolfplatz, der Strandbar oder einfach von einem kleinen Spaziergang. Voller Neugier gingen wir an Land und ließen die Eindrücke wirken.
 
 
Da wir keine Hotelreservierung hatten, kümmerten wir uns zunächst um Unterkunft. Die freundliche Junge Dame am Schalter der Touristeninformation telefonierte mit den zahlreichen Gästehäusern und dabei hatte ich den Eindruck, sie würde nur mit guten Bekannten sprechen. Bei der Größe der Insel sicher keine Täuschung. Die Telefonnummern kannte sie alle auswendig und die Situation erinnerte mich an eine Erfahrung, die ich mal auf den Färöern gemacht hatte. Nach wenigen Minuten hatten wir beide ein Zimmer gefunden wobei es ein Einzelzimmer und ein Doppelzimmer gab. "Ich nehme das Doppelzimmer" ließ ich spontan verlauten. So wirklich teuer war es auch nicht und ich hatte angesichts der exponierten und exotischen Lage der Insel mit weitaus höheren Preisen gerechnet. Auch ging ich davon aus, dass die ganzen "Deal Macher", die auf die Insel kommen um den steuerfreien Alkohol und die zulässige Anzahl Zigaretten für sich oder den Bekanntenkreis abzugreifen, die Preise in die Höhe treiben. Das traf aber nicht zu. Diese verfehlten Schnäppchenjäger bilden sich nämlich ein, ohnehin auf der Insel zu sein und bringen es nicht fertig die Kosten der Anreise mit dem Erwerb von zollfreier Ware zu verrechnen. Frei nach dem Motto: "Ich bin sowieso da, also kaufe ich auch günstig zollfreie Ware". Da muss ich über diese albernen Duty-Free Daheimangeber schon ein wenig schmunzeln. In meinen Augen besteht in dieser gelungenen Täuschung jener Kunden das Hauptgeschäftsmodell der Insel. Das ist nebenbei völlig in Ordnung.
Ich für meinen Teil sehe es nicht ein, diesen kleinen Kurzurlaub durch ein "gutes Geschäft" zu trüben und Plastiktüten mit Krempel, der auf dem Festland eben etwas mehr kostet, trage ich hier bestimmt nicht herum, und schon gar nicht  aufs Zimmer. Das würde meine Ausflugsbegeisterung schmälern und Billigshopping passte einfach nicht zur Gesamtsituation. Allerdings verfiel ich letztendlich auch dem Kaufrausch. Nachdem ich mich tüchtig durchgefragt hatte, fand ich tatsächlich einen Laden der Ullis Lieblingschokolade führte. Diese schwedische Marke in der Sorte "Minzkrokant" ist  tatsächlich nur ganz selten zu bekommen und in Deutschland praktisch nicht erhältlich. Begeistert erwarb ich den gesamten Bestand, rund 1 Kilogramm. Das wird selbstverständlich exklusiv im eigenen Flieger nach Süden geflogen,  Fliegerschokolade sozusagen. Ach so, Helgoland ist ja auch Deutschland, das vergisst man hier draußen leicht.
Voller Entdeckerdrang und Neugierde begannen wir unseren Inselrundgang. Angesichts der Autofreiheit besteht das Eiland nur aus Fußgängerzone. Der Lieferverkehr wird mit kleinen Elektrokarren bewerkstelligt, wie sich auch auf Bahnhöfen herumfahren. All dies sorgt für eine tiefenentspannte Atmosphäre und ordentlich eingenordet erklommen die zwei Neuankömmlinge die Treppenstufen auf das Oberland. Der Empfehlung unserer Vermieterin folgend, suchten wir zunächst das Restaurant auf, welches die berühmten Helgolandhummer anbietet. Tatsächlich fand sich ein Angestellter der vor der eigentlichen Öffnung am Abend mit diversen Vorarbeiten beschäftigt war und unsere Reservierung entgegennahm. "Heute Hummer, 9,90€ / 100g" stand mit Kreide geschrieben auf einer großen Tafel neben der Eingangstür. "Haben sie auch welche da?" wollte ich wissen. "Ja, wenn ich welche bekomme, dann gibt es auch welche" antwortete er grinsend. "Sie haben Glück, da sind auch ein paar große um 1,5 kg dabei" sagte er und putzte weiter seine Weingläser.
Nur ein kleines Stück die Straße rauf befanden wir uns am Fuß des großen Leuchtturms. "Scheiß egal, ich fresse heute Abend so ein Ding" sagte ich zu meinem Mitreisenden. "Klar, hier wird nicht dünn rumgeteilt, ich will auch einen ganzen" versicherte Patrick. Jetzt und hier war unsere Zeit. Die Hochdruckwetterlage bescherte einen fantastischen 360° Rundblick auf das große blaue Wasser. Keine Küste war zu sehen, nur ein riesiger Windpark und unzählige große und kleine Schiffe. Die langwellige Nachmittagssonne ließ die roten Felsen in zauberhaften Licht erstrahlen. Auf dem Fußweg zur "langen Anna" befanden sich außer uns nur eine Handvoll Holländer.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
Patrick und ich ließen uns lange Zeit, verharrten mehrfach auf den zahlreichen Bänken und schlenderten gemütlich über eine steile Treppe hinunter an den Sandstrand der Felseninsel. Zwischen den halbhohen Sträuchern fand sich im Wetterschatten des Felsens noch ein Fußballplatz, eine Jugendherberge und ein Museum. Ruck Zuck standen wir wieder am Ausgangspunkt des Ausflugs.
"Ich brauch einen Mittagsschlaf" ließ ich verlauten. Patrick war wenig überrascht und gähnte selber. "Also gut, 2 Stunden auf die Zimmer und dann treffen wir uns zum Abendessen.". Mit Daumen hoch verschwand er wortlos am Ende des Flurs. Mein Zimmer war der Hammer. Nur etwa 100 Meter von der Wasserkante entfernt, war der Blick aus dem 1 Stockwerk frei auf den Bootssteg nach Osten. Das langwellige Licht, die autofreie Stille, die leichte Brise und die Geräuschkulisse wirkten sehr einschläfernd. Ich öffnete die Balkontür und ließ mich auf das Bett fallen. Noch bevor mein Körper die horizontale Endlage erreicht hatte, war ich fest eingeschlafen.

Mein Smartphone weckte mich pünktlich und 1 Minute vor dem vereinbarten Termin stand ich geduscht, gebügelt, angezogen und kragengerichtet an der Zimmertür. Da klopfte es auch schon kurz von außen. "Na das nenne ich Pünktlichkeit, oder hast Du Hunger?" kommentierte ich das Eintreffen von Patrick. Er grinste nur gut gelaunt.
"Bitte hier" wies uns der Kellner vom Nachmittag wenig später den Platz an. Wir saßen etwas erhöht in einer Nische und stellten überrascht fest, dass der Laden proppenvoll war.
In einem Wasserbecken ganz in der Nähe des Eingangsbereiches befanden sich einige lebende Hummer und Krebse. Der polnische Koch kam uns mit einer großen Holzzange und einem Blechtopf entgegen. "Der da hat 1400g und der so um die 1100g" erklärte er und zeigte auf zwei Tiere. "Wollen sie die?". Etwas verdutzt nickten wir, worauf der Chef die Ausgesuchten sofort mit seiner Zange packte und geräuschvoll auf den Boden seinen Blechtopfes fallen ließ. Die Hummer zappelten in der Luft heftig und verteilten tropfenweise Salzwasser. "Die armen Viecher" meinte ein Gast, der die Szene aus nächster Nähe beobachtete. "Blödmann, die Garnelen auf Deinem Teller haben auch keinen Selbstmord begangen" entgegnete ich in Gedanken.
Die Kellnerin schaute ihrem Kollegen hinterher und beschrieb grinsend ein Kreuz in der Luft. Jetzt macht doch nicht alle so ein Aufstand wegen dem Fisch. Täglich wandern Millionen Meerestiere auf unsere Teller und da spielt der Tod immer mit. Vielleicht werde ich selber irgendwann auch mal Fischfutter, wer weis? Wichtig ist doch nur, dass nichts verschwendet wird und man die Sache wertschätzen kann. Letzteres sollte kein Problem darstellen.
 
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Hummer satt, das war für mich eine neue Erfahrung. Auch wenn der essbare Anteil an dem Tier zunächst klein erscheint, fällt das Resultat reichlich aus. Tatsächlich kann ich mich auch an keine bessere Fischmahlzeit erinnern und bestätige somit den vorliegenden Superlativ. Der Helgoländer Hummer ist der beste der Welt und schmeckt absolut spitze. Wir feierten das kulinarische Fest ausgiebig und mit viel Geduld, tranken unseren trocken Weißwein dazwischen und diskutierten die Harmonie mit den angebotenen Soßen. Wie bei hochwertigen Speisen üblich, verzichteten Patrick und ich auf jegliche Beilagen und neutralisierten das Geschmackskonzert von Zeit zu Zeit nur mit etwas frisch gebackenem Weißbrot. Letztendlich beglichen wir die Rechnung, tranken noch einen Dessertwein und schlenderten in Richtung Hafen um noch einen Absacker zu nehmen. Die kleine Kneipe an der Ecke unten am Hafen war im Begriff zu schließen. Die wenigen Gäste, ausschließlich einheimische Seeleute oder Hafenarbeiter, tranken am Nebentisch noch ein paar Kurze. Ein vollendeter Tag geht zur Neige.

29.09.2015

Durch die offene Balkontür rauschte ganz sanft die nahe Brandung an mein Ohr. Die Geräuschkulisse war mir völlig unbekannt. Es herrschte schon vor Sonnenaufgang geschäftiges Treiben und die Insel befand sich keineswegs im Dämmerzustand. Nur machte der morgendliche Lieferverkehr so gut wie keinen Krach, was sicherlich mit den ganzen Elektrofahrzeugen zusammen hing. Mit einer gewissen Zufriedenheit stellte ich fest, dass die Sonne es noch nicht über die Kimm geschafft hatte, jedoch das bezaubernde Ereignis unmittelbar bevorstand. Also schnappte ich mir die Kamera und machte das folgende Foto.

 
 
 
Die Urlaubsstimmung fing an sich einzustellen und bestens gelaunt verschwand ich erst einmal in der Dusche. Mit einem frischen Hemdchen schick gemacht trat ich an die Tür heran, an der es in der selben Sekunde klopfte. Das passt ja wie die Faust aufs Auge und Patrick hatte offensichtlich einen ganz ähnlichen Rhythmus. Wir genossen das überaus vielseitige und reichhaltige Frühstück. Es hatte beinahe den Anschein, die Gästehäuser versuchen sich mit dem Frühstück gegenseitig zu übertrumpfen. Hier blieben wirklich keine Wünsche offen und weil die Aussicht zum Stand so gut war, ließen wir uns lange Zeit. "Wir haben sowieso nichts vor heute und der Heimflug geht ja schnell" grinsten wir. Das Hochdruckgebiet blieb weiter stark und das Wetter warm und sonnig. Wir unternahmen einen Spaziergang über den Teil der Felseninsel, den wir am Vortag ausgelassen haben. "Irgendwie ist das schon recht übersichtlich hier" kamen wir überein. Trotzdem hat es einen besonderen Charme. "Mir würde der Wald fehlen" sagte ich, als wir das äußere Ende der Mole erreicht hatten. Ein Jogger, der die Betonplatten nun schon einige Male auf und abgelaufen war, erzeugte nicht wirklich viel Inselneid. "Hier draußen haste eben Deine Ruhe" meinte mein Reisegefährte. "Ja, aber auch nicht viel mehr" entgegnete ich. "Allerdings" kam es zurück. "Komm, wir packen zusammen, nehmen die Fähre auf die Insel, hüpfen nochmal am Badestrand ins Wasser, essen noch eine Kleinigkeit, tanken die Mühlen voll und knattern wieder heim. Mit Wehmut und Gepäck bestiegen wir kurz darauf die Fähre, beluden unsere Flieger und behielten jeweils nur eine Badehose und ein Handtuch zurück. "Ich will unbedingt nochmal ins Wasser hüpfen" versicherte ich. Durch die Dünen und den weißen Sand stapften wir rüber zum Südstrand.
 
 
 
Das Meer glitzerte im schönsten Blau und wären sämtliche Warnschilder nicht deutsch geschrieben, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass wir uns nach wie vor in der Heimat befanden. Die DLRG-Bude war mit zwei braungebrannten Rettungsschwimmern besetzt, die offensichtlich nicht viel zu tun hatten. "Ist Badeverbot, oder warum schwimmt denn keiner" fragte ich die große Blonde Frau mit dem roten Badeanzug. "Einer schwimmt doch" entgegnete sie und zeigte auf einen Punkt im Wasser". "Der schwimmt jeden Tag raus zur Boje und wieder zurück". "Gehen sie ruhig auch rein, ist alles in Ordnung". Die frage nach der Wassertemperatur hatte sich erübrigt, denn ihr Kollege wies mit einer kleinen Kopfbewegung auf die kleine Tafel mit der Kreideschrift: "15°". Das geht ja noch meinte ich zu Patrick und hinter einem ungenutzten Strandkorb zogen wir uns um und rannten über den warmen Sand ins Wasser. Es war glasklar und absolut erträglich. Ich machte ein paar Schwimmzüge und erregte die Aufmerksamkeit einer Robbe, die in der Nähe schwamm. Blitzschnell war sie auf wenige Meter an mich herangeschwommen und schaute neugierig herüber. Ich konnte unter Wasser schon Ihren schwarzen Körper ausmachen. "Ermutigen sie die Tiere nicht zum spielen"  erinnerte ich mich an die Warnungen auf den zahlreichen Tafeln und Broschüren. Folglich ignorierte ich das Tier und bewegte mich wieder Richtung Strand. Es wurde nämlich langsam frisch hier drin. Zum Glück wärmten aber die Sonne und der Wind. Daher genoss ich es in der sauberen, salzigen Luft trockengeföhnt zu werden und hielt noch eine kurze Weile inne. "Auf, ich hab Hunger" leitete Patrick den Aufbruch ein. Das kleine Mittagessen mit alkoholfreiem Weizenbier schmeckte schon leicht nach "Aufbruch". Aber so ist das eben, wenn man mit dem Flieger unterwegs ist. So schnell es auch gehen mag, das Wetter, das Flugzeug und der Zeitplan müssen immer berücksichtigt werden. Beide RVs wurden bis an den Rand vollgetankt. Dabei stellten wir fest, dass meine kleine blaue doch mit etwas weniger Sprit auskommt als die große rote von Patrick. Das ist aber keine Geldfrage, denn die Tankkapazität der RV-7 ist um einiges größer als die der RV-4. Das AVGAS war sowieso fast geschenkt hier oben.
 
 
Start in Helgoland mit Rückflug     Video (23MB)
Wir rollerten gegen 16 Uhr auf die Runway. Ich konzentrierte mich auf den Check, denn über dem Wasser will ich nicht feststellen, dass irgend etwas nicht stimmt. "Tschüss Helgoland, bis zum nächsten Mal" sprach ich zu mir selbst und legte den Gashebel nach vorne um. Die Tangolima gab alles und ich staunte über die Startdrehzahl, die mit 2400 Umdrehungen deutlich über den gewohnten Werten lag. Sie beschleunigte flott und mit einiger Überfahrt schoss ich über den Südstrand, gewann gut Höhe und stellte zufrieden fest, dass die rote 7 dichtauf folgte. Schneller als ich es wollte überflogen wir wieder die Küste und insgeheim freute ich mich schon wieder auf meine Mädels zuhause. In 5000 Fuß gab es eine dünne Schicht aus Wolken, die aber so offen war, dass wir einfach drüber blieben. Das macht die Reise angenehmer und das Flugzeug reagiert in der ungestörten und thermikfreien Luft auf jede Kleinigkeit. So genieße ich es beispielsweise die Querlage mit dem Kopf zu steuern, wenn die Kiste voll ausgetrimmt ist. Ein "MAYDAY MAYDAY" einer Luftwaffenpilotin ließ uns aufhorchen, aber alles ging gut. Die Dame hatte offenbar alles im Griff. Die Republik ging rückwärts unter dem Flügel durch, das warme Rheintal kündigte sich südlich der Wetterau mit 5° Temperaturanstieg an und das Heimweh sorgte für den nötigen Rückenwind. Querab Aschaffenburg lief die ETA aus den selben Gründen wie beim Hinflug steil nach unten. Plötzlich eröffnete sich wieder die Möglichkeit, die Reise unter 2 Stunden zu beenden. Das quittierte ich mit Vollgas und ich holte aus meiner blauen Mühle alles raus. 170 kts IAS bedeuteten 190 kts Groundspeed. Hurra, hier geht es Volles Rohr heimwärts. Über Dieburg drückte ich die Nase nach unten und raste am roten Strich auf den kleinen Grasplatz hinter dem Melibokus zu. Das GPS meldete 205 kts Groundspeed. Es galt jedoch die 3 Minuten für die Platzrunde herauszufliegen und laut Anzeige könnte das ganz knapp hinhauen. Am Platz war gar kein Verkehr und so ließ ich Angesichts der langen Bahn die Klappen drin und schwebte praktisch bis vor die Halle. Exakt 1:58 Minuten nach dem Start in Helgoland sprang ich wieder aus dem Flieger. Patrick kam kurz darauf angerollt und grinste übers ganze Headset. Wir hallten ein gönnten uns noch ein Weizenbier und prosteten uns zufrieden zu.

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